
Pflanzen sind gesund – klar. Aber sie verteidigen sich auch. Gegen Fressfeinde, Mikroben – und manchmal gegen uns. Denn in fast allen pflanzlichen Lebensmitteln stecken sogenannte Anti-Nährstoffe: Stoffe, die Mineralien binden, Verdauungsenzyme blockieren oder die Darmwand reizen können.
Von A wie Apfel bis Z wie Zwiebel – ganz gleich ob Getreide, Nüsse, Hülsenfrüchte
oder Gemüse:
Anti-Nährstoffe gehören zur Natur der Pflanze.
In diesem Artikel geht es konkret um die Anti-Nährstoffe im Getreide, weil genau hier oft Beschwerden auftreten – und weil viele Menschen täglich
damit zu tun haben.
Das klingt erst einmal dramatisch, ist aber vor allem eines: komplizierter als Schwarz-Weiß-Denken.
Anti-Nährstoffe sind keine Erfindung der Industrie – sie sind Teil der Pflanze. Die Frage ist also nicht: Sind sie schlecht? Sondern:
Wann und für wen können sie zum Problem werden?
Dieser Beitrag ist Teil meiner spannenden Serie zu Anti-Nährstoffen.
Die Übersicht mit allen verlinkten Artikeln findest du ganz unten.
Was sind Anti-Nährstoffe überhaupt?
Anti-Nährstoffe – auch antinutritive Substanzen genannt – sind natürliche Pflanzenstoffe, die die Nährstoffaufnahme im Darm behindern können. Manche binden Mineralien, andere stören Verdauungsenzyme oder reizen die Darmschleimhaut.
Sie kommen ganz von selbst in Lebensmitteln vor – vor allem in Getreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen.
Für viele Menschen sind sie kein Problem. Aber für Menschen mit Reizdarm, Zöliakie, Autoimmunerkrankungen oder einer sensiblen Verdauung können sie
Beschwerden auslösen oder verstärken.
Warum produziert die Pflanze sowas überhaupt?
Weil sie überleben will. Ganz ohne Krallen oder Reißzähne setzt die Pflanze auf Chemie – clever, oder?
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Anti-Nährstoffe wirken abschreckend: Sie machen das Korn unverdaulich oder unattraktiv für Fressfeinde.
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Sie speichern Nährstoffe fürs Wachstum (z. B. Phytinsäure speichert Phosphor).
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Sie hemmen Mikroben und Parasiten – also echte Pflanzenschutzmittel, made by nature.
Kurz gesagt: Was für uns nervig sein kann, ist für die Pflanze pure Überlebensstrategie.
Aufbau eines Getreidekorns - wo die Anti-Nährstoffe sitzen

Ein Getreidekorn ist nicht einfach nur ein Klumpen Stärke – es besteht aus mehreren Schichten, die jeweils eigene Funktionen (und Inhaltsstoffe) haben. Genau dort sitzen auch die meisten Anti-Nährstoffe.
⟶ Ein kurzer Blick auf den Aufbau hilft, besser zu verstehen, wie sie wirken – und wie man ihnen auf die Schliche kommt:
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Bärtchen: Die äußerste Schutzschicht, die das Korn umhüllt – wird meistens schon vor dem Mahlen entfernt (z. B. bei Weizen, Gerste oder Hafer).
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Schale: Diese harte Hülle enthält viele Ballaststoffe – aber auch Enzymhemmer und Phytinsäure.
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Aleuronschicht: Eine dünne, nährstoffreiche Zwischenschicht direkt unter der Schale – mit Vitaminen, aber auch Lektinen und WGA.
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Mehlkörper (Endosperm): Hauptsächlich Stärke und Gluten. Daraus wird Weißmehl.
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Keimling: Nährstoffreich und voller Leben – aber auch hier verstecken sich einige Anti-Nährstoffe.
Vier Anti-Nährstoffe, die du kennen solltest
Hier ein Überblick über die wichtigsten Stoffe, die bei sensiblen Menschen eine Rolle spielen können – kurz, klar, kein Drama.
1. Lektine – natürliche Abwehrstoffe mit Wirkung auf den Darm
Lektine sind pflanzliche Proteine, die sich an Zelloberflächen binden. Sie kommen in vielen Lebensmitteln vor – besonders in Getreide, Hülsenfrüchten und Nachtschattengewächsen wie Tomaten, Paprika und Chili.
Weizen enthält besonders viele Lektine, darunter das bekannte Wheat Germ Agglutinin (WGA).
Warum produziert die Pflanze Lektine?
✔ Lektine sind Teil der pflanzlichen Abwehrstrategie
✔ Sie stören gezielt die Verdauung von Fressfeinden – und machen das Fressen unattraktiv
Was sie im Körper verursachen können:
⤷ Reizen die Darmschleimhaut
⤷ Fördern stille Entzündungen
⤷ Beeinträchtigen die Nährstoffaufnahme (bei hoher Zufuhr)
⤷ Irritieren das Immunsystem
Gut zu wissen:
Durch Kochen und Fermentieren lassen sich viele Lektine deutlich reduzieren.
Lektine verdienen ein eigenes Kapitel – folgt demnächst.
2. Gluten – Klebereiweiß mit Nebenwirkungen
Gluten ist ein Speicherprotein aus dem Mehlkörper – perfekt für fluffiges Brot, aber nicht für jeden Darm.
Besonders hoch ist der Gehalt in Eiweißbroten sowie in speziellen Pizza- und Croissantmehlen, die gezielt auf Klebereiweiß gezüchtet sind.
Warum bildet die Pflanze Gluten?
✔ Gluten dient als Nährstoff- und Energiereserve für den Keimling
✔ Gleichzeitig schützt es das Korn vor Fressfeinden und Pilzbefall – ein funktionaler Eiweißcocktail mit Nebenwirkungen
Was es im Körper bewirken kann:
⤷ Führt bei Zöliakie zu einer Autoimmunreaktion und Darmschäden
⤷ Reizt bei Glutensensitivität den Magen-Darm-Trakt
⤷ Kann bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zusätzliche Beschwerden auslösen
Tipp:
Glutenfrei heißt nicht automatisch gesund – aber bei Beschwerden lohnt es sich, die Reaktion auf Gluten mal bewusst zu beobachten.
3. WGA – Weizenkeim-Agglutinin mit Extra-Power
WGA (Weizenkeim-Agglutinin) gehört zur Familie der Lektine, wirkt aber deutlich aggressiver als viele andere.
Es kann die Darmbarriere durchdringen, Entzündungen fördern – und bleibt selbst beim Backen weitgehend aktiv. Ein echter Härtefall unter den Anti-Nährstoffen.
Warum produziert die Pflanze WGA?
✔ WGA schützt das Korn vor Fressfeinden, indem es deren Verdauung blockiert – ein natürlicher Verteidigungsmechanismus, besonders konzentriert im Keimling.
Kurios dabei:
Am höchsten ist der WGA-Gehalt ausgerechnet in den als „gesund“ geltenden Weizenkeimen.
Vollkornprodukte wie Müsli, Keimlinge und Weizenkeimöl enthalten besonders viel davon.
Was es im Körper tun kann:
⤷ Schädigt die Darmbarriere („Leaky Gut“)
⤷ Fördert Entzündungsreaktionen
⤷ Hemmt die Aufnahme von Eisen, Zink und Calcium
⤷ Steht im Verdacht, Autoimmunprozesse mit anzuschieben
Gute Nachricht: Fermentierte Teige, etwa bei Sauerteigbrot, enthalten deutlich weniger aktives WGA – eine einfache Möglichkeit, das Risiko zu senken.
4. Phytinsäure – Mineralstoffräuber mit Doppelfunktion
Phytinsäure bindet Mineralien wie Eisen, Zink, Magnesium und Calcium – und macht sie für den Körper schlechter verfügbar.
Besonders konzentriert ist sie in den äußeren Schichten des Korns, also in Schale und Keimling, aber auch in Sojabohnen, Nüssen, Samen und Vollkornprodukten aller Art.
Wo sitzt sie?
• Hauptsächlich in Schale & Keim
• Weniger im Mehlkörper (also im Weißmehl)
Warum bildet die Pflanze Phytinsäure?
✔ Zur Speicherung von Phosphor – wichtig fürs eigene Wachstum
✔ Als Schutzmechanismus: Phytinsäure bindet Mineralien in schwer verdaulichen Komplexen – damit Schädlinge sie nicht verwerten können
Was sie im Körper bewirkt:
⤷ Erschwert die Aufnahme von Mineralstoffen
⤷ Kann bei empfindlichem Darm Beschwerden verstärken
⤷ Trägt bei Übermaß zu Mangelerscheinungen bei
Aber:
Phytinsäure hat auch antioxidative Eigenschaften – sie schützt die Zellen vor oxidativem Stress. Ob
sie nützt oder schadet, hängt von der Menge ab:
Wer sich ausgewogen ernährt, profitiert oft sogar von ihren positiven Effekten.
Problematisch wird es vor allem bei sehr einseitiger Ernährung mit vielen rohen Vollkornprodukten, Nüssen oder Soja.
Gut zu wissen:
Mit einfachen Methoden wie Einweichen, Keimen, Fermentieren oder Kochen lässt sich der Gehalt deutlich reduzieren – besonders bei selbst
verarbeiteten Lebensmitteln.
Fazit:
Was du nicht siehst, kann trotzdem stören.
Anti-Nährstoffe sind keine Katastrophe. Aber sie gehören auf den Schirm – vor allem, wenn deine Verdauung zickt, dein Eisenwert im Keller ist oder du ständig müde bist, obwohl du „gesund“ isst.
Die gute Nachricht: Mit ein paar einfachen Tricks lassen sich Anti-Nährstoffe deutlich reduzieren. Wie das geht? Das zeige ich dir hier:
🔗 Diese Beiträge gehören zur Serie über Anti-Nährstoffe:
➤ Was, bitte, sind denn Anti-Nährstoffe?
➤ Anti-Nährstoffe Teil 2: ATI, Enzymhemmer, Oxalsäure & Tannine
➤ FODMAPs bei Reizdarm – wenn Kohlenhydrate den Darm ärgern
➤ Anti-Nährstoffe reduzieren – so
geht’s wirklich!
➤ Anti-Nährstoffe – Nebenwirkungen auf einen Blick
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